Die vierte Episode von Amazons Serie «Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht» kann bald begutachtet werden. In der Rezeption des neuen Filmmaterials ertönen immer wieder Meinungen über die Regeln, was John D. Payne und Patrick McKay als verantwortliche Produzenten und Regisseure dürfen und was nicht. 2019 gab der damalige Berater von Amazon, Tom Shippey, der Deutschen Tolkien Gesellschaft e.V. (DTG) ein Interview über die Möglichkeiten und Regeln, die die Tolkien Estate Amazon Prime auferlegte.
(Meta) Oxford, Colcalad (DTG/Dotik).
Im Zentrum steht das Zweite Zeitalter, was mit der Niederwerfung Morgoths im Krieg des Zorns, dem Erstarken Saurons als dunkler Herrscher, der Insel Númenors, dem Schmieden der Ringe in Eregion und dem Sieg über Sauron im Letzten Bündnis endete. J.R.R. Tolkien selber beschrieb das Zweite Zeitalter meistens nur rudimentär, was die Frage der Möglichkeiten von AmazonPrime brisant macht, wie es Shippey beschreibt:
Es wird für die Serie von sehr großer Bedeutung werden, wann genau die Handlung spielt, zu welchem Zeitpunkt in der Geschichte Mittelerdes etwas stattfindet. Das war eine unserer Schwierigkeiten beim Erstellen einer Karte für das Zweite Zeitalter, denn man muss sehr genau festlegen, von wann diese Karte sein soll. Zu manchen Dingen schrieb Tolkien etwas, aber zu dieser konkreten Zeit gibt es nur einen dreiseitigen Zeitstrahl in den Anhängen zum Herrn der Ringe und die Liste der Könige von Númenor und ein wenig mehr Material in den Unfinished Tales, aber das war es im Prinzip auch schon.
AmazonPrime besitzt die Rechte am Hobbit und am Herrn der Ringe mitsamt den Anhängen, jedoch nicht vom Silmarillion oder anderen Büchern. Die Frage stellt sich, ob Amazon also freie Hand hat die Lücken zu füllen. Tom Shippey sagt Jein:
Amazon hat relativ freie Hand, wenn es darum geht, etwas hinzuzudichten, da, wie gesagt, sehr wenig Details zu dieser Zeitspanne bekannt sind. Der Tolkien Estate wird darauf bestehen, dass die Grundform des Zweiten Zeitalters bewahrt wird. Sauron fällt in Eriador ein, er wird von einer Truppe Númenorer zurückgeschlagen, wird gezwungen, nach Númenor zurückzukehren. Dort korrumpiert er die Númenorer und verführt sie dazu, den Bann der Valar zu brechen. Das alles, der Ablauf der Geschichte, muss gleich bleiben. Aber man kann neue Figuren hinzufügen und viele Fragen stellen, wie etwa: Was hat Sauron in der Zwischenzeit getan? Wo war er, nachdem Morgoth besiegt wurde? Theoretisch kann Amazon diese Fragen beantworten, indem sie die Antworten erfinden und hinzudichten, da Tolkien es nicht beschrieben hat. Aber es darf nicht dem widersprechen, was er gesagt und beschrieben hat. Darauf muss Amazon achten. Es muss kanonisch sein, man darf die Kontur, die Tolkien geschaffen hat, nicht verändern, es muss „tolkienesk“ bleiben.
AmazonPrime hat also nicht das Recht, etwas zu erfinden, was durch Tolkien, sei es dem Wesen nach oder der Geschichte nach, bereits beschrieben wurde ausserhalb der bestehenden Lizenzen. Insofern kann Amazon nur die Lücken füllen, wenn sie zum Rahmen passen. Aber wer kontrolliert das? Shippey sagt im Interview, dass der Tolkien Estate ein Vetorecht besässe und darauf achten, dass dieses grundlegende Setting nicht verletzt werde. Schwierig seien die Karten von Tolkien selber, die auf Dinge ausserhalb der Lizenzen verweisen, sagte Shippey.
Simon Tolkien, der Enkel J.R.R. Tolkiens, berät ausserdem die Produzenten im Namen der Tolkien Estate. Auch Peter Jackson hatte solche Restriktionen bei seinen Verfilmungen. So erinnerte sich Gandalf zum Beispiel an fünf Zauberer im Hobbit, erinnerte sich der Namen der blauen Zauberer nicht: Alatar und Pallando. Diese stehen in Buch Nachrichten aus Mittelerde und waren rechtlich nicht möglich zu erwähnen.
Interview der DTG mit Tom Shippey
Titelbild: Die zwei Bäume Laurelin und Telperion, nicht Teil der Abmachung, aber dürfen wohl zum Verständnis im Sinne einer kurzen Rückblende gezeigt werden © AmazonPrime
