«Wer ist Tom Bombadil?» Diese Frage stellt Frodo im «Herrn der Ringe» an Goldbeere. Manuel Clavé hat sie versucht für die französische Tolkiengesellschaft Tolkiendil zu beantworten. In dem ausführlichen Essay wurde klar, eine abschliessende Antwort ist gar nicht möglich. Viele Fragen bleiben über Tom Bombadil, oder Iarwain Ben-Adar, wie ihn die Elben Imladris’ nennen, offen.
(Meta) Paris, Colcalad (Tolkiendil).
Die Gedanken Clavés sind Streiflichter subjektiver Natur. In der Hoffnung für die Leserinnen und Leser des Funkenfluges einige interessante Aspekte weiterzutragen, entstand dieser zusammenfassende Bericht.
Das Bild ist eine Farbstift- und Kreidezeichnung von Matthew Stewart aus dem Jahre 2015. Es zeigt Bombadil, wie er eine grosse Blüte einer Wasserpflanze hält. Vielleicht präsentierte er sie Goldbeere.
Er ist der Meister des Waldes, des Wassers und der Hügel. […] Die Blume, das Gras und alles, was im Lande lebt und wächst, gehören sich selbst. Tom Bombadil ist der Meister. Niemand hat den alten Tom je gehindert, durch den Wald zu laufen, durchs Wasser zu waten oder auf den Hügeln zu tanzen, ob bei Tag oder bei Nacht. Er kennt keine Furcht. Tom Bombadil ist der Meister. (Goldbeere, nach Krege)
Dies war die Antwort von Goldbeere, die nicht weniger Staunen wie Verwunderung auslöst. Keine einfache Antwort. Clavé berichtet im ersten Teil des Essays, dass er durch Zufall auf Parallelen zwischen Frodo bei Tom Bombadil und christlichen Ritterlegenden stiess. Bei Christian von Troyes’ Perceval (Le Conte du Graal) fielen ihm zwei mysteriöse Begebenheiten am Tisch des Königs der Fischer auf: Eine Lanze, die blutet und eine Prozession mit unbekanntem Inhalt auf einem silbernen Tablet/Gral. Perceval wagt nicht zu fragen warum, gerade wie Frodo und die Hobbits.
Eine Parallele zog Clavé zum Wirken und das Zusammenspiel von Tom Bombadil und Goldbeere zum Schluss des ersten Essens, die ihn an die Prozession bei Christian von Troyes erinnerte. Immerhin getraute sich dann Frodo Fragen zu stellen, als Goldbeere sich verabschiedet hatte. In dieser Begegnung sah der Essayist auch eine Parallele zum Glauben von Tolkien, denn dass Wasser sah wie Wasser aus, schmeckte aber wie Wein. Nahezu wie im Johannesevangelium (Joh 2,1-12).
Was sagt Tom Bombadil selber?
Manches ist nicht gut anzuhören, wenn die Welt im Schatten liegt. (Tom Bombadil, nach Krege)
Clavé versucht dann eine Antwort von Tom Bombadil selber herauszuarbeiten. Auf die Frage von Frodo, wer er sei, antwortete Tom geheimnisvoll:
Äh, was? Kennst Du meinen Namen nicht? Das ist die einzige Antwort. Sag mir, wer bist du, du allein, du selbst ohne Namen? Doch du bist jung, und ich bin alt. Der Älteste, der bin ich. Denkt an meine Worte, Freunde: Tom war früher hier als der Fluss und die Bäume; Tom hat den ersten Regentropfen fallen gesehn und die erste Eichel. Tom hat Pfade ausgetreten, ehe die Grossen Leute da waren, und die Kleinen Leute hat er kommen gesehn. Er war da vor den Königen, den Gräbern und den Grabwichten. Als die Elben gen Westen fuhren, bevor die Meere gekrümmt wurden, war Tom schon da. Er war schon da in der gestirnten Dunkelheit, die noch ohne Schrecken war – bevor der Dunkle Herrscher von aussen kam. (Tom Bombadil, nach Krege)
Tom unterstreicht seine wichtige Rolle, etwas ausserhalb von allem. Goldbeere beendete das Gespräch mit einer Kerze in der Hand, die Flamme schützend. Ein Motiv wie auch bei Perceval, ebenso jung und unerfahren in den «grossen Dingen». Clavé betont noch eine zweite Parallele: Nach der Begegnung hatten weder die Hobbits noch Perceval «richtig verstanden», mit wem sie es zu tun hatten. Sam sagte nach dem zweiten Abschied von Tom:
Von Meister Bombadil Abschied zu nehmen, fällt mir schwer. Was für ein Kauz! Ich meine, auch wenn wir noch viel weiter herumkommen, einen besseren Mann werden wir nicht finden – und einen verrückteren auch nicht.» (Sam, nach Krege)
Tom Bombadil (C) Matthew Stewart
Von der Natur
Für Clavé verkörpern Goldbeere und Tom Bombadil die verlorene Schönheit der Natur, den «Zustand davor». Auch Tolkien selbst bedauerte den Rückgang der Natur im Zuge der industrialisierten und maschinisierten Wirtschaft, die immer mehr Raum einnimmt. Sarumans Isengart ist Zeugnis für diese Tendenz. Das Ideal bei Tom Bombadil ist Schätzen und Pflegen der Natur, wie sie selbst ist und wäre. Der Gral bei Perceval symbolisiere ebenso das verblichene goldene Zeitalter.
Die Schönheit der Natur gehe aber auch häufig mit Gefahr von dieser einher. So im Alten Wald (wie auch im Fangorn).
Der Mythos der Persephone
Persephone ist die antike griechische Göttin der Ernte, Tochter der Demeter und der Zeus, mit einem tragischen Schicksal. Sie musste Hades heiraten und wurde von ihm entführt. Persephone wird auch Kora oder Proserpine genannt und war einfach das junge Mädchen. Weil Demeter ihre Tochter suchte und die Ernte einfrieren liess, musste Zeus einschreiten und eine Abmachung mit Hades treffen, dass Persephone nur eine gewisse Zeit in der Hölle sein musste (Winter).
Clavé sieht diese Geschichte in einer gewissen Ähnlichkeit zu Goldbeere. Sie ist zwar nicht gegen den Willen bei Tom Bombadil allem Anschein nach. Tom Bombadil sagte zu den Hobbits, dass es sich lohnen würde sie zu treffen. Sie pflege aber gerade die letzten Sommerblumen (Wasserlilien) bevor der Winter komme. Tolkien schrieb in einem Brief, dass Goldbeere den saisonalen Wechsel der Jahreszeiten verkörpere. Es ähnelt gemäss Clavé dem Motiv bei Persephone in der Antike.
Eine weitere Erwähnung findet die Legende von Mary-Morgan, die für Clavé ebensolche parallele Züge aufweise.
Tom Bombadil hat für die Hobbits eine wichtige Rolle eingenommen. Ohne ihn wären sie bereits im Alten Wald oder in den Hügelgräberhöhen stecken geblieben. Letztere sind ein Ort, der in manchen Legenden und Geschichten eine Anlehnung hat. Um das Gute zu erreichen muss der Held, die Heldin ganz in den Schatten gehen, oder in die Hölle, wie bei Persephone. Alice im Wunderland, Star Wars oder bei den Alchemisten: «V.I.T.R.I.O.L.: Visita Interiora Terrae Rectificando Invenies Occultum Lapidem» (Um den gesuchten Stein zu finden muss man ganz ins Innere der Erde gehen).
Tom Bombadil ist wie Sauron?
Clavé hat dann eine ganz persönliche Theorie ausführlich besprochen. Ob Tom Bombadil nicht wie Sauron sei, nur im Guten, so wie es Sauron hätte sein sollen. Ein Maia, eine Kopie von Sauron in dessen Potenzialität. Als Sauron Isildur und Elrond auf der Schlacht traf, hatte er den Ring an, aber war sichtbar. Auch Tom Bombadil konnte vom Ring nicht eingenommen werden. Diese Parallele führte Clavé hauptsächlich zu dieser Annahme.
Daneben führt er Persephone und ihr Schicksal im Vergleich zu Goldbeere und ihrer Mutter an. Ebenso die Parallelen in der nordischen Mythologie und Wagner s«Ring der Nibelungen».
Dass der eine Ring auf Tom Bombadil keinen Einfluss hat, sah Frodo mit eigenen Augen. Er streifte ihn sogar über und es passierte nichts. Für Tom Bombadil, der einzige auf dem ganzen Weg des Ringes, hatte der Ring keinen Einfluss. Man könnte sagen, er existiert als der eine Ring nicht für ihn. Tom Bombadil sagte dann, dass er keinen Einfluss auf das Wetter nehmen könne, was die Theorien (Bombadil sei ein Vala oder sogar Eru selber) zu widerlegen scheint. Auch die Theorie, dass Bombadil ein alter-Ego vom Hexenkönig von Angmar sei (wegen seiner mutmasslichen Macht über die Nazgul), widerlegt die Tatsache, dass er immun ist gegen den Einfluss des einen Rings.
Gandalf und das Schicksal Tom Bombadils
Gandalf wollte zum Schluss des Herrn der Ringe Tom Bombadil sprechen und verliess die Hobbits auf dem Heimweg. Doch es wurde nicht gesagt, dass er ihn getroffen, noch dass er ihn nicht getroffen habe. Auch dies bleibt ein Rätsel. Mit dem letzten Schiff, dass auch Gandalf, Bilbo und Frodo von Mittelerde wegführte, sollte gemäss einem Lied von Tolkien auch Firiel wegfahren, aber ihre Teilnahme beim letzten schiff wurde in dem Lied verweigert. Es könnte sein, dass damit Goldbeere gemeint ist. Somit wären Tom Bombadil und Goldbeere in Mittelerde geblieben, wie auch der blaue und braune Zauberer, führt Clavé aus.
Viele stellten die Frage, wer Tom Bombadil sei und stellten Theorien auf. Was bleibe, sagte Clavé, ist die Antwort von Goldbeere:
Er ist!
Und dies müsse eigentlich genügen, so wie die Natur selber auch keine Erklärung brauche, wer sie sei. Vielleicht ist Tom Bombadil das grosse Rätsel Tolkiens an seine Leserschaft, wie Bilbos Rätsel in Gollums Höhle. Es bleibt ein mysteriöses Rätsel.
Zur Kunst:
Matthew Stewart hat 2015 diese Zeichnung hergestellt. Mit rotem Farbstift und weisser Kreide auf Tonpapier. Tom Bombadil hält eine Wasserlilie und lacht, vielleicht auch über die Fragen über ihn.
Titelbild: Tom Bombadil mit einer Blüte für Goldbeere © Matthew Stewart
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